ANDRE KRAMMER






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Zur Serie Romero: Die Sujets der Serie Romero Figuren/Köpfe wurden dem Film Night of the Living Dead (1968), Day of the Dead (1978), Survival of the Dead (2009) von George A. Romero entnommen und ins Medium der Grafik und den 1:1 Maßstab übersetzt. Der Kontext und die Handlung des Films entfallen. Die einzelnen Bilder/Figuren erhalten eine vom film unabhängige Qualität, werden rekombiniert und gruppiert. Die kontextuelle Verschiebung ist entscheidend. Ausgangspunkt der Arbeit an der Serie war die These, dass dem Film als Medium insofern eine Schlüsselrolle zukommt, da seine (bewegten) Bilder gleichzeitig in das kollektive wie in das subjektive Gedächtnis eingehen und somit eine Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Diskurs bilden. Insofern sind die Standbilder politischer und ästhetisch brisanter Filme, wie sie die Filme George A. Romeros zweifelsohne darstellen, ein idealer Ausgangspunkt, die Prämissen und Potentiale einer konzeptionellen Grafik zu testen. Der Film ist 1968 entstanden, angesiedelt zwischen Avantgarde und Trash. Als Horrorfilm ein Genrefilm, aber gleichzeitig ein Kunstwerk, das Antagonismen seiner Zeit, zwischen Schwarzen und Weißen, Kapitalismus und Konsumkultur, staatlicher Gewalt und Bürgerrechten in archaische Bilder übersetzte, die auch ein zeitloses Unbehagen angesichts der Abgründe der Normalität - jedenfalls in meiner Rezeption - transportierten. Die Archaik und Kraft der Schwarz-Weiß Bilder des Films hat sich auch im kulturellen Gedächtnis verankert. Zum einen handelt es sich bei der Übersetzung der Filmbilder in Grafik um einen Prozess der Verlangsamung. Die zeitaufwendige Arbeit an den einzelnen Figuren im Maßstab 1:1 erlaubt und erzwingt eine genaues Hinsehen, im Sinne der Schule des Sehens (Oskar Kokoschka) und im besten Fall die Eröffnung eines Gedanken- und Reflexionsraumes. In der Übersetzung gehen Aspekte des Films - insbesondere die narrative Struktur - verloren, aber andere werden dazugewonnen. Die Figuren werden gewöhnlicher. In der Zeichnung wird die Momentaufnahme auf Dauer gestellt, die Zeit wird angehalten. Das Gewöhnliche wird wiederum auf eine höhere Ebene gehoben. Die Serie, die nur in ihrer Gesamtheit - unabhängig von der jeweiligen Konfiguration im Raum - vollständig ist, sperrt sich bewusst gegen das Einzelbild, das in jedem x-beliebigen Kontext auftauchen kann. Die Kohlezeichnungen sind bewusst an der Grenze zwischen sichtbaren und unsichtbaren angesiedelt. Manche Details erscheinen wie in Nebel getaucht. Es handelt sich schließlich um das Abbilder von projizierten Bildern. Interessant ist das Spannungsverhältnis zwischen scheinbarer Authentizität - Maßstab 1:1, fotorealistische Anmutung - und Künstlichkeit. Im Grunde handelt es sich um gewöhnliche Gestalten. Ihrer Kleidung nach zu schließen, wurden sie gerade aus dem Schlaf gerissen oder kommen direkt aus der Arbeit. Sie schienen aus unterschiedlichen sozialen Milieus zu entstammen. Wie die Toten Pompejis. Früher waren sie heimlich. Sie gehörten in ein Heim, in ein Zuhause, in eine Alltagswelt, der sie entrissen wurden. Nun aber haben sie ihre Behausung verloren. Sie haben ihre Dörfer und Städte, sie haben ihren kulturellen Hintergrund verlassen und sind in die Landschaft eingegangen, als stammten sie aus alten, verloren gegangen archaischen Welt. Sie sind aus der Welt gefallen. Losgelöst von ihrem Heim, sind sie unheimlich geworden. Sigmund Freud: Das Unheimliche, Essay 1919. Sie sind ständig in Bewegung, kommen auf den Betrachter zu oder wenden sich ab. Ihre Unruhe scheint bedrohlich wie auch ihre gleichzeitige Apathie. Es sind viele, unendlich viele. Und sie sprechen nicht. Sie sind ein stummes Kollektiv. Was eint sie? Welche Agenda verfolgen sie? Ist ihr Schweigen ein revolutionärer Akt, stiller Widerstand? Leiden sie - wie die meisten Revolutionäre - an Humorlosigkeit? Manche von ihnen wirken bedrohlich, andere erregen Mitleid. Die Untoten weigern sich Geschichten zu erzählen. Sie sind kein Narrativ, sie sind ein Zustand. Es geht ihnen um ihr nacktes Überleben. Biopolitik. Sie haben sich jeglicher kultureller Überformung entledigt. Ihnen gehört die Nacht. In der Nacht sind sie Jäger, am Tag werden sie gejagt. AK